Herausforderungen bei älter werdenden Menschen mit MS
Die Prävalenz der Multiplen Sklerose (MS) bei älteren Menschen nimmt mit der immer besser werdenden Früherkennung, sich verbesserten diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten ständig zu [Motte J and Gold R 2023]. MS wird typischerweise bei Personen zwischen 20 und 40 Jahren diagnostiziert, kann jedoch auch früher (pediatric onset MS, POMS) oder deutlich später mit über 50 Jahren (late onset MS, LOMS) auftreten. Die Altersverteilung der MS-Betroffenen hat sich mittlerweile, verglichen zu früher, zu einem höheren Alter hin verschoben: Die Erkrankung ist inzwischen am häufigsten bei Personen zwischen 55 und 65 Jahren [Macaron et al. 2023]. MS im Alter stellt Behandler, Betroffene und Angehörige vor neue Herausforderungen.
"Bedeutung des Lebensalters und der Begleiterkrankungen für den Verlauf der MS" - Vortrag von Priv.-Doz. Dr. Baum
Am 03.09.2025 fand das Web-Seminar im Rahmen unserer NeuroAkademie zum Thema "Bedeutung des Lebensalters und der Begleiterkrankungen für den Verlauf der MS" mit unserem Referenten Priv.-Doz. Dr. Karl Baum statt.
Die Aufzeichnung des Web-Seminars steht hier zur Verfügung.
Inhalt:
- Was ist bei spät erkrankten MS-Betroffenen zu beachten?
- Welche Rolle spielt das zunehmende Lebensalter bei der MS?
- Welche Rolle spielen Komorbiditäten für das Fortschreiten der MS?
Deeskalation der MS-Therapie im Alter

Mit zunehmend besserem Verständnis der Multiplen Sklerose (MS) und einer größeren Auswahl an Wirkstoffen können Patienten mittlerweile ein längeres Leben mit weniger MS-bedingten Einschränkungen führen, als es noch vor wenigen Jahrzehnten denkbar gewesen wäre. (Hua 2021) Dass nun MS-Patienten im Schnitt deutlich älter werden, wirft jedoch auch neue Fragen dazu auf, wie die Therapie der MS bestmöglich an das höhere Lebensalter angepasst werden sollte.
Altern und MS: Was bedeutet dies für die Therapie?
Die MS-Erkrankung scheint mit zunehmendem Alter weniger mit aktiven Schüben zu verlaufen, zeigte eine Untersuchung mit insgesamt 40.428 Personen mit MS in Deutschland. Dies ist jedoch kein Grund zur Entwarnung: Im Mittel wurden stärkere Behinderungsgrade bei Patienten ab 65 Jahren im Vergleich zu Jüngeren festgestellt. (Goereci 2024)
Niedrigere Schubrate, aber schlechtere Erholung von Schüben
Denn es ändert sich nicht nur die Schubrate mit dem Alter, sondern auch wie gut sich Betroffene von einem Schub erholen. Hierbei ist ein höheres Alter jedoch von Nachteil. Eine krankheitsmodifizierende Therapie hingegen geht mit besserer Erholung von Schüben einher, fand eine Untersuchung in den USA. Dies kann bei älteren Menschen mit MS für eine Deeskalation statt für ein Therapieende sprechen. (Sotiropoulos 2021)
Immunseneszenz und höheres Infektrisiko
Mit zunehmendem Alter altert auch das Immunsystem. Angesichts dieser Immunseneszenz kann eine weniger immunsuppressive MS-Therapie relevanter werden. Besonders deutlich wird dies anhand von Infektionen: Die Analyse eines Patienten-Registers in Deutschland zeigte eine höhere Infektanfälligkeit bei älteren MS-Patienten auf, mit Harnwegsinfekten bei 5,1 % der Patienten ab 65 Jahren im Vergleich zu 2,2 % der Patienten unter 55 Jahren oder Herpes simplex-Infektionen bei 7,6 % ab 65 Jahren versus 3,2 % unter 55 Jahren. (Goereci 2024) Eine MS-Therapie, die das Immunsystem zusätzlich zum Alter dämpft, könnte Infektrisiken verstärken.
Begleiterkrankungen: Zwischen Polymedikation und Einfluss auf den MS-Verlauf
Ein weiteres, mit dem Alter zunehmend wichtiges Thema sind Komorbiditäten. Hierbei denkt man oft zuerst an die typischerweise damit verbundene Polymedikation und ihre Risiken. Begleiterkrankungen selbst können jedoch zusätzlich den Verlauf der MS beeinflussen. So zeigte eine Untersuchung mit 913 Patienten, dass kardiovaskuläre Risikofaktoren (Rauchen, Adipositas, Bluthochdruck, Typ-2-Diabetes oder bereits bestehende kardiovaskuläre Erkrankungen) einen progressiven Verlauf der MS wahrscheinlicher machen. Das Risiko für einen progressiven Verlauf der MS war mit 2 – 3 kardiovaskulären Risikofaktoren um den Faktor 2,8 höher als für einen stabilen Verlauf (Odds Ratio, OR: 2,811; p = 0,001), bei 4 – 5 Risikofaktoren war das Risiko sogar verzehnfacht (OR: 9,811; p < 0,001). Auch das höhere Alter selbst führte häufiger zu einem progressiven Verlauf der MS (ab 60 Jahren: OR: 2,092; p = 0,024). Eine krankheitsmodifizierende MS-Therapie, ob Plattform- oder hochaktive Therapie, spielte hingegen eine stabilisierende Rolle und senkte das Risiko für progressive Verläufe. (Pfeuffer 2024)
Therapiewahl individuell und mit Blick auf das Alter und Risikofaktoren optimieren
Ein zunehmendes Alter kann demnach aufgrund von Immunseneszenz, schlechterer Erholung von Schüben und möglichen Wechselwirkungen mit Medikationen für Begleiterkrankungen für eine Deeskalation der MS-Therapie sprechen. Aktuelle Einschätzungen warnen jedoch vor einem verfrühten Therapiestopp, da eine krankheitsmodifizierende Therapie das Risiko für Progression der Erkrankung senkt und die Erholung von Schüben verbessern kann. (Mrochen 2025)
Referenzen
[1] Hua LH, Hersh CM, Tian F, Mowry EM, Fitzgerald KC. Clinical characteristics of a large multi-center cohort of people with multiple sclerosis over age 60. Mult Scler Relat Disord. 2021 Jan;47:102637. doi: 10.1016/j.msard.2020.102637. Epub 2020 Nov 23. PMID: 33276238; PMCID: PMC8293698. https://www.livivo.de/doc/M33276238
[2] Goereci Y, Ellenberger D, Rommer P, Dunkl V, Golla H, Zettl U, Stahmann A, Warnke C. Persons with multiple sclerosis older than 55 years: an analysis from the German MS registry. J Neurol. 2024 Mar 22. doi: 10.1007/s00415-024-12286-4. Epub ahead of print. PMID: 38517521. https://www.livivo.de/doc/M38517521
[3] Sotiropoulos MG, Lokhande H, Healy BC, Polgar-Turcsanyi M, Glanz BI, Bakshi R, Weiner HL, Chitnis T. Relapse recovery in multiple sclerosis: Effect of treatment and contribution to long-term disability. Mult Scler J Exp Transl Clin. 2021 May 28;7(2):20552173211015503. doi: 10.1177/20552173211015503. PMID: 34104471; PMCID: PMC8165535. https://www.livivo.de/doc/M34104471
[4] Pfeuffer S, Wolff S, Aslan D, Rolfes L, Korsen M, Pawlitzki M, Albrecht P, Havla J, Huttner HB, Kleinschnitz C, Meuth SG, Pul R, Ruck T. Association of Clinical Relapses With Disease Outcomes in Multiple Sclerosis Patients Older Than 50 Years. Neurology. 2024 Jul 23;103(2):e209574. doi: 10.1212/WNL.0000000000209574. Epub 2024 Jun 13. PMID: 38870471; PMCID: PMC11244741. https://www.livivo.de/doc/M38870471
[5] Mrochen A, Meuth SG, Pfeuffer S. Should we stay or should we go? Recent insights on drug discontinuation in multiple sclerosis. Neurol Res Pract. 2025 Apr 21;7(1):25. doi: 10.1186/s42466-025-00379-y. PMID: 40254626; PMCID: PMC12010584. https://www.livivo.de/doc/M40254626
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