Sieben Jahre Multiple Sklerose

Ziemlich genau vor sieben Jahren erhielt ich meine Diagnose Multiple Sklerose. Für mich kam es doch sehr überraschend, obwohl ich häufig das Gefühl hatte, dass irgendwas nicht mit mir stimmt. Manchmal kommt es mir vor, als sei es gestern erst gewesen. Wo ist die Zeit, frage ich mich häufig. Je älter ich werde, desto schneller läuft sie. Geht es dir auch so?
In den sieben Jahren ist unglaublich viel mit mir und in meinem Leben passiert. Von heute auf morgen war alles anders und ich musste erst einmal wieder auf die Beine kommen. In den sieben Jahren hatte ich vier Schübe, fünf Kortison Stoßtherapien, drei Medikamenten Umstellungen, unzählige MRT Untersuchungen und Arztbesuche, aber auch zwei Umzüge und ich bin zweimal Mama geworden. Das ist aber natürlich bei Weitem nicht alles, was mich ausmacht. Ich selbst bin an mir gewachsen, ruhiger und gelassener geworden und mental stärker.
Wie alles begann
Gerade sitze ich an meinem Schreibtisch und schreibe diese Kolumne. Ich sehe die 24-jährige Nadine vor mir, die aufsteht und denkt, sie sieht heute komisch. Ich hatte Nachtdienste und schob es auf die Müdigkeit. Ich wusste aber, dass irgendetwas nicht stimmte, wollte es aber nicht wahrhaben. Im Laufe des Tages wurde mein Sehvermögen auf dem rechten Auge zunehmend schlechter und als ich abends nichts mehr mit rechts sehen konnte, bekam ich Panik und stellte mich in der Augenklinik vor. Ich bekam die Diagnose „Sehnerventzündung“ mit Verdacht auf Multiple Sklerose. Als neurologische Krankenschwester wusste ich natürlich sofort, was das heißt. Für mich begann ab diesem Moment eine dunkle Zeit: Augenärztliche Untersuchungen, MRT, Liquorpunktion, Blutentnahmen, Kortison usw. Ich ließ ich alles über mich ergehen und fühlte mich, wie im Film. Meine Sehnerventzündung war sehr langwierig. Nach der ersten Kortison-Stoßtherapie gab es keine Besserung und so bekam ich im Anschluss die Double Dose-Therapie. Es war hart – richtig hart. Niemals hätte ich vorher geglaubt was Kortison und der Entzug mit einem machen. Psychisch und körperlich war ich am Ende.
Nachdem ich alles etwas sacken ließ, musste ich mich noch für eine Therapie entscheiden. Ich tat mich sehr schwer damit, schließlich wollte ich nichts falsch machen. Meine Wahl fiel auf Spritzen. Zuerst täglich und dann gab es die Spritzen dreimal pro Woche. Anfangs bin ich gut damit zurechtgekommen, und dann irgendwann nicht mehr. Die Spritzen taten mir sehr weh, ich hatte im Anschluss häufig Fieber und war platt. Nun ja, für eine Krankenschwester, die Nachtdienste macht, keine gute Kombination. So war es mir schnell nicht mehr möglich nachts zu arbeiten.
Mein Augenlicht wurde nach Monaten besser. Es dauerte. Die Diagnose machte mir die ersten Monate sehr viel Angst. Ich sah mich als Pflegefall und zog mich ziemlich zurück. Ich bin jemand, der die Dinge mit sich selbst ausmachen muss und das dauert. (Genauer kannst du das in der Kolumne Krankheitsbewältigung nachlesen).
Weitere Schübe
Im selben Jahr, Dezember 2015, folgte der nächste Schub. Mein linkes Bein war kraftlos und zitterte. Der Schub war wie ein Schlag ins Gesicht für mich und holte mich zurück auf den Boden der Tatsachen. Jedoch verkroch ich mich nicht auf die Couch oder ins Internet, sondern fing an zu trainieren. Ich merkte schnell Fortschritte und wie gut es mir doch tat. Der Schub bildete sich rasch zurück und ich hatte Zeit, mich an das neue Leben, ein Leben mit MS, zu gewöhnen.
Im Sommer 2016 folgte Schub Nummer Drei: Meine komplette linke Seite war taub und fühlte sich komisch an. Diesmal kämpfte ich. Kurz nach dem Schub und dem Kortison traten wir unseren Wanderurlaub in den Bergen an. Ich hab mich nicht aufhalten lassen, bin von Hütte zu Hütte gewandert und kämpfte gegen mich selbst. Auch hier merkte ich doch Fortschritte und Erfolgserlebnisse; vielleicht mag es komisch klingen, aber in dem Urlaub konnte ich Frieden mit mir und meiner Erkrankung schließen.
Schwangerschaft, Geburt und MS
Kurz nach diesem Urlaub war ich schwanger mit meinem großen Sohn. Ehrlich gesagt, keine schöne Schwangerschaft, aber nicht aufgrund der MS. Die MS ließ mich völlig in Ruhe, dafür habe ich sämtliche gynäkologische Komplikationen mitgenommen. Von Blutungen bis frühzeitigen Wehen war alles dabei. Plötzlich war die MS nicht mehr mein Kopfthema Nummer Eins, sondern das Baby und das war gut so. Im bzw. vor dem Wochenbett hatte ich etwas Angst vor einem Schub, wollte die Dinge aber einfach auf mich zukommen lassen. Ich stillte acht Monate und es ging mir körperlich richtig gut.
Nach dieser Stillzeit merkte ich, dass ich einfach wieder das Bedürfnis nach Therapie hatte. Dieses Mal etwas Neues, Stärkeres, denn unter den Spritzen hatte ich Schübe und Verschlechterungen im MRT. So startete ich mit Tabletten, zweimal täglich. Nach anfänglichen Nebenwirkungen (Flushs, Erbrechen und Magenschmerzen) vertrug ich es recht gut. In der Zeit zogen wir auch in eine größere Wohnung mit Garten.
Mir ging es richtig gut in der Rolle als neue Mama. Die MS war weit weg und ich genoss einfach das Leben. Im Herbst 2018 durfte ich wieder einen positiven Schwangerschaftstest in der Hand halten. Diese Schwangerschaft war ganz anders, es ging mir so richtig gut. Keine MS Symptome und gynäkologisch war auch alles super. Dieses Mal hatte ich auch keine große Angst vor dem Wochenbett, denn schließlich hatte ich schon das erste gut hinter mich gebracht. Das Ende war dann doch sehr überraschend. Unser Theo wurde per Notkaiserschnitt geholt und wir verbrachten die ersten Tage auf der Intensivstation - meisterten es aber alles hervorragend. Den Kleinen stillte ich neun Monate, und ähnlich wie beim Großen hatte ich das Gefühl und Bedürfnis wieder mit der Therapie starten zu wollen.
Mein privates Glück und „MS-Pause“
Nach meiner Diagnose hatten wir uns dazu entschieden, lieber zur Miete zu leben, um im Notfall immer umziehen zu können. Jedoch wurde der Wunsch nach einem Eigenheim nun immer größer und so wagten wir den Schritt im Oktober 2019. Wir zogen nicht nur von der Wohnung ins Haus, sondern auch von der Stadt aufs Land. Wir haben diese Entscheidung nicht bereut.
2020 war ich ziemlich aktiv bei Instagram mit dem Bloggen. Das war und ist für mich eine Art Tagebuch und es hilft mir, alles zu verarbeiten. Zudem liebe ich den Austausch mit anderen Menschen.
Das Jahr 2021 – Pandemie und neuer Schub
Ich war viereinhalb Jahre schubfrei, als ich im Januar 2021 den jüngsten Schub bekam. Mitten im Corona-Lockdown. Es war nicht leicht, denn es war mein erster Schub und meine erste Kortisonbehandlung als Mama. Mein Mann unterstützte mich, wo es ging. Es war psychisch hart für mich und die Kinder wurden zum ersten Mal richtig konfrontiert, wenn Mama mal nicht so kann. Wir machten nie ein Geheimnis aus der Krankheit und es war normal für die Mäuse, wenn ich meine Tabletten nahm. Wir versuchten es immer so kindgerecht wie möglich zu erklären, aber jetzt die Krankheit richtig präsent. Nach viereinhalb Jahren ohne Schübe fühlte ich mich irgendwie sicher und dachte gar nicht mehr an sowas. Es zeigte mir, dass die MS noch da ist. Die Symptome bildeten sich größtenteils schnell zurück, sie flackern ab und an mal auf, aber das ist okay.
Mit der Therapie fühlte ich mich auch nicht mehr so gut und entschied mich für etwas Neues: Eine Infusion alle vier Wochen. Die ersten Male ging es mir danach nicht sehr gut. Ich hatte mit starken Kopfschmerzen zu kämpfen, aber nach der vierten oder fünften Infusion waren die Nebenwirkungen wie weggeblasen (Klopf auf Holz, dass das so bleibt). Ich merke, dass mir dieser Abstand zwischen den Infusionen guttut.
Vor zwei Monaten war ich bei der MRT-Kontrolle: Ich habe keine neuen Veränderungen, was mich natürlich sehr freut.
Das war meine MS-Geschichte der letzten sieben Jahre
Die MS ist nicht das, was mich ausmacht, aber sie hat mich auf dem Weg zu der Person begleitet, die ich heute bin. Ich habe Sport, insbesondere Yoga für mich entdeckt. Ich bin ruhiger. Mit Resilienz habe ich mich viel beschäftigt und nehme die Dinge anders an als früher. Durch die MS schiebe ich Dinge nicht weit auf. Ich lebe jetzt und intensiv, sehr bewusst und dankbar. Klar habe ich auch Tage, an denen ich eben mal nicht positiv bin und Angst habe, das ist aber völlig in Ordnung und die darf es auch geben.
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