Multiple Sklerose und Partnerschaft

Die Diagnose Multiple Sklerose ist erstmal ein Schock – für mich als Betroffene, für meinen Partner und für meine Familie. Das ist klar und auch ganz normal. Aber wie ist damit nun umzugehen? Eine Frage, die nach der Diagnose und dem ersten Schock schnell aufkommt.
Als ich meine Diagnose erhielt, waren mein Mann und ich bereits verlobt und standen etwa 6 Wochen vor unserer Hochzeit. Wie ihr euch vorstellen könnt, waren wir also mitten in den Hochzeitsvorbereitungen und sehnten den großen Tag herbei. Ganz ehrlich, nach der Diagnose war mir das alles erstmal „egal“. Für mich war gar nicht an die Hochzeit zu denken, ich stellte mir eine ganz andere Frage: Kann sich Andrej mit mir noch ein Leben vorstellen – mit der MS? Das war tatsächlich mein erster Gedanke. Ich wusste ja selbst nicht, wie es für mich weiter gehen würde. Ich erinnere mich noch ganz genau, wie ich die ganze Nacht darüber nachgedacht habe und in meinem Kopf spielten sich 1000 Varianten ab, wie es weitergehen könnte. Ich dachte, ich werde eine Belastung und das wollte ich ihm auf keinen Fall antun. Ich wusste, er liebt mich und würde mir beistehen, aber kann er sich sein Leben so wirklich vorstellen? Allein dieser Gedanke brachte mich immer wieder zum Weinen. Ich war traurig, ja, ich war verzweifelt!
Am dritten Tag flohen wir aus dem Krankenhaus, gingen ein wenig am Main spazieren und ein Eis essen. Ich kann mich noch gut erinnern, ich nahm all meinen Mut zusammen und sagte ganz bestimmend: „Ich weiß, dass du mich liebst. Aber ich kann verstehen, wenn du dir dein Leben anders vorstellst und mich nicht heiraten möchtest. Ich habe dafür absolutes Verständnis und bin dir nicht böse.“ Er sah mich an und sagte: „Natürlich will ich dich noch heiraten! Ich liebe dich und du bist immer noch der gleiche Mensch.“ Ich höre seine Worte noch als wäre es erst gestern gewesen.
Später erzählte er mir, dass er sich darüber nie Gedanken gemacht hätte. Er unterstütze mich, wo er nur konnte. Bei allen Arztbesuchen, bei der Therapiewahl – er war und ist immer für mich da. Er brachte mir sogar Kaffee von Zuhause mit, weil mir der aus dem Krankenhaus nicht schmeckte.
Wir heirateten planmäßig im April 2015. Trotz der frischen Diagnose. Es war ein toller Tag und genau so, wie wir es uns vorgestellt haben: Einfach, locker und nichts Großes. Natürlich träumten wir damals auch schon von einem eigenen Haus, schoben diesen Gedanken aber erst einmal bei Seite. Zuerst entschieden wir uns, lieber zu mieten, dann könnten wir immer ausziehen. Man weiß ja nie, was kommt - gerade in Bezug auf die MS. Mittlerweile sind wir, wie ihr wisst, im Oktober 2019 ins Eigenheim gezogen. Wir haben uns den Traum tatsächlich erfüllt und sind unheimlich glücklich. Wenn ich ehrlich bin, dachte ich immer noch: „Was ist, wenn...?“ Mein Mann ist da völlig entspannt und derjenige, der immer absolut „cool“ ist – egal welche unerwartete Situation aufkommt. Er sagt mir immer: „Was soll dann sein? Wir bauen um oder verkaufen. Dann ist es so, ändern können wir es nicht und keiner weiß, was morgen ist. Ob mit oder ohne MS!“ Und wenn ich so darüber nachdenke – Recht hat er! Seine Einstellung zum Leben und zu diesen Dingen, die mir manches Mal Kopfschmerzen bereiten, nimmt mir unglaublich viel Druck. Ich bin sehr dankbar dafür.
Fakt ist: Der „gesunde“ Partner trägt eine sehr große Last mit sich. Das kann man nicht anders sagen. Ich denke auch, damit kann nicht jeder umgehen. Wir bzw. ich bin die Betroffene, ich kann weinen, ich kann Angst haben und ich kann jammern. Mein Mann ist derjenige, der mich immer wieder aufbaut. Dementsprechend möchte er vor mir seine Ängste nicht unbedingt zeigen, eben nicht weinen, sondern mir Mut zusprechen. Aber es ist wohl völlig legitim, wenn unser „gesunder“ Partner auch Angst hat – oder? Schließlich weiß niemand, wie die MS und unsere gemeinsame Zukunft verlaufen wird. Diese Ängste dem Betroffenen gegenüber zu äußern, kann die Angst des Betroffenen noch weiter schüren. Und das wiederum kann den gesunden Partner noch mehr unter Druck setzen. Ein Teufelskreis.
Deswegen ist es besonders wichtig, dass der Partner auch jemanden zum Reden hat. Das nimmt den Druck. Und wenn es nicht der Partner ist, dann jemand anderes. Das ist auch völlig in Ordnung! Mein Mann und ich können tatsächlich sehr offen miteinander reden. Wir haben zusammen geweint, gehofft, gebangt und alles, was dazugehört. Wir haben unsere Ernährung umgestellt, mit Sport (Muskelaufbau) angefangen (was ich seit Theos Geburt sehr schleifen lasse, zugegebenermaßen). Wir haben alles zusammen erlebt. Das hat uns wahrscheinlich noch mehr zusammengeschweißt. Aber das ist nicht selbstverständlich. Ich bin meinem Mann sehr dankbar für alles, gerade weil ich weiß, dass es nicht selbstverständlich ist.
Wir kommen beide aus dem medizinischen Bereich und sind uns sehr bewusst, was sein kann und was nicht – bezogen auf die MS. Wir fachsimpeln und tauschen uns oft über neue Studien, Medikamente und sonstige Dinge aus. Wir können dabei diskutieren und wisst ihr, das macht sogar Spaß. Ich glaube, wir haben beide etwas davon. Er lernt für seine Patienten durch meine Erfahrung und ich lerne neue Studien, Medikamente usw. kennen, durch seine Erfahrung und sein Fachwissen. Wir führen ein „normales“ Leben, eine tolle Partnerschaft. Ich kann sagen: Mein Mann ist mein bester Freund. Klingt kitschig, ist aber wirklich so! Ich weiß, ich kann mich 100% auf ihn verlassen. Das ist ein sehr gutes Gefühl. Ich wünsche jedem von euch so einen Menschen im Leben haben zu dürfen. Unsere beiden tollen Kinder runden alles ab. Oft betrachte ich meinen Mann und die Kinder und bin dann einfach nur stolz und dankbar. Und glücklich! Ich kann zufrieden sein mit meinem Leben – trotz der MS.
Erst heute habe ich meinen Mann gefragt, ob er denkt, dass sich unser Leben seit der Diagnose verändert hat. Ob wir anders „leben“ als früher. Dazu muss man sagen, dass wir länger mit der Krankheit zusammen „leben“ als ohne. Sie gehört zu uns und unserem Alltag. Wir sind uns einig, dass sich unsere Einstellung zum Leben geändert hat. Wir leben bewusster, genießen jeden schönen Moment. Wir sind dankbarer, schätzen auch die kleinen Dinge und wissen wohl, dass die Gesundheit nicht selbstverständlich ist.
Nach meiner Erfahrung gibt es ein paar grundsätzliche Dinge, die zu einer guten Partnerschaft und glücklichen Beziehung führen:
- In einer Partnerschaft – ob mit oder ohne MS – ist es wichtig immer offen und ehrlich miteinander zu kommunizieren, egal über was. Nur wer redet und sagt, wie er sich fühlt, kann auch verstanden werden.
- Zusammen Dinge anzugehen und etwas zu verändern, wie zum Beispiel die Ernährung oder die Sportgewohnheiten.
- Für den anderen da zu sein, gemeinsam Hürden zu meistern und Momente zu „erleben“ – das schweißt zusammen! Außerdem macht zu zweit alles mehr Spaß. :-)
- Und ebenfalls sehr wichtig: Diesen wundervollen Menschen, die sich entschlossen haben diesen Weg mit uns zu gehen, einfach mal DANKE sagen: „Danke, dass du du bist!“ Denn es ist nicht selbstverständlich!!!
Das könnte Sie auch interessieren:
MS-Kolumne
Der ganz normale Wahnsinn - mit Kleinkindern und eben auch MS.
MS-Community
MS-Mutmacher für den
Austausch untereinander
So geht's
Leben und Alltag
mit MS